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April

Wir werden durchnässt bis auf die Herzhaut

Innerhalb von knapp neun Monaten, zwischen dem 8. Dezember 1941 und dem 6. September 1942 wurden alle noch in Marburg und dem Landkreis Marburg lebenden Juden in Ghettos und Vernichtungslager im Osten deportiert. Die Transporte führten zuerst in das Sammellager in Kassel und von dort im Dezember 1941 nach Riga, im Juni 1942 nach Lublin und Sobibor und im September 1942 nach Theresienstadt. Nur ganz wenige der Deportierten überlebten.
Am 6. September 2012 jährte sich die dritte Deportation zum 70. Mal. Aus diesem Anlass entstand die Inszenierung „Wir werden durchnässt bis auf die Herzhaut“.
Die Materialien und Recherchen der Marburger Geschichtswerkstatt und die Listen mit den Namen der Deportierten aus dem Marburger Raum dienen dem Theaterensemble german stage service als Ausgangspunkt für eine Spurensuche. „Wir werden durchnässt bis auf die Herzhaut“ ist ein Abend über die Möglichkeiten und Grenzen der Vorstellungskraft, ein Abend über Erinnerung, ein Abend über die Frage nach dem „Wie“ und dem „Woran“.
Was stellen wir uns vor, wenn wir uns vorstellen, wie es gewesen sein könnte?
Da ist das kleine Mädchen, dem man alle seine Kleidchen übereinander anzieht. Mitten im Sommer.
Und der stolze Junge vor dem Schaufenster der Metzgerei.
Da ist die Liebe einer jungen Frau, die mit 17 Jahren ihr letztes Gedicht schreibt. Und der Büstenhalter, den man sich aus dem überflüssigen Stoff einer viel zu großen Hose machen kann.
Da ist der gutaussehende Mann mit dem Stab und den weißen Handschuhen auf dem LKW.
Und die Tannenzweige links und rechts der Himmelsstraße. Und wie heißt es in den Briefen die aus dem Zugfenster geworfen werden: „Noch sind wir nicht am Ziele angelangt und wissen nicht, wie es heißt und wo es ist, aber wir fahren gen Osten der Sonne entgegen.“
„Ach, ich hab sie fortziehen sehen.“
„Dass die, die aus unseren Nachbarshäusern in den Tod gegangen sind, nicht nur Opfer sind, dass sie ein Leben hatten, Gefühle, Wünsche, Stolz, Hoffnung, das wird ganz präsent. […]Dieses Stück sollte noch oft gezeigt werden, an vielen Orten, jenseits von Gedenktagen.“ (Oberhessische Presse, 10.09.2012)

Eine Koproduktion von german stage service und der Marburger Geschichtswerkstatt