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March

ja genau

,,Ja genau", eine Produktion der Marburger Theaterwerkstatt, ist ein Balanceakt zwischen gesellschaftskritischer Realsatire, kabarettistischer Unterhaltung und absurdem Tanztheater. Dafür sorgte die Zusammenarbeit mit der Choreographin Vivienne Newport, die lange Zeit am Wuppertaler Tanztheater von Pina Bausch tanzte. Um Prinzipien geht es in dem Episodenstück, um Konventionen und das Nichtgelingen menschlicher Kommunikation. Fünf Akteure führen auf der Bühne vor, wie im alltäglichen Bewährungsfeld Standpunkte und Haltungen verteidigt und gerechtfertigt werden. Die Menschen reden sich um Kopf und Kragen und andere in Grund und Boden. Da meint der eine schon, sich in den Nöten des Gegenüber wiederzuerkennen, stimmt ihm begeistert zu mit ,,Ja genau" und hat doch gar nicht zugehört. So wird der Titel zum Refrain innigsten Einverständnisses auf der Basis völligen Mißverstehens. Vivienne Newport hat das Stück als abstraktes Tanzgeschehen angelegt, in dem jeder ständig um seine eigenen Rituale kreist und die Bewegungen ebenso isoliert sind wie die Floskeln. Es ist ein Blick in den Zerrspiegel- ebenso erschreckend wie komisch. Wir sprachen mit Rolf Michenfelder, Schauspieler und Regisseur der Theaterwerkstatt:
W: Herr Michenfelder, ,,Ja genau" ist, wie fast jedes Stück, das die Theaterwerkstatt bisher produzierte, selbst erarbeitet. Wie funktioniert ein solcher Arbeitsprozeß? Rolf Michenfelder: Wir entwerfen Ausgangsfragen und versuchen diese in den Proben improvisatorisch zu beantworten. Bei „Ja genau" galt unser Ausgangsinteresse der Frage, inwieweit es heute noch Wertvorstellungen gibt, an denen man festhalten möchte. Oder an denen man festhält, ohne daß man es merkt. Wo beginnt Starrsinn, Sturheit? Wo sind persönliche Wertvorstellungen dafür verantwortlich, daß man sich nicht mehr traut, in jeder Situation neu zu entscheiden? Auf den Punkt gebracht: Wo machen diese doch eigentlich der Lebenserleichterung dienenden Prinzipien das Leben nicht leichter, sondern schwerer bis unmöglich? W: Graue Theorie - wie wird die in ein packendes Theaterstück umgesetzt? Rolf Michenfelder: Das war in diesem Fall schon die Kunst der Regisseurin Vivienne Newport, Fragen zu entwickeln, mit denen die Schauspieler wirklich arbeiten können. W: Vivienne Newport ist vielbeschäftigt. Wie kam es zur Zusammenarbeit? Rolf Michenfelder: Wir verfolgen ihre Arbeit schon länger und hatten immer Interesse an einer Zusammenarbeit. Irgendwann waren dann beide Zeitstrukturen passend. W: Nennen Sie doch mal ein Beispiel für die Umsetzung der Thematik auf der Handlungsebene. Was passiert, wenn ein Mann der Frau die Tür aufhält, die Frau aber prinzipiell nicht als erste reingehen will? Der Mann hat sein Prinzip, die Frau das ihrige, es gibt keine Lösung. Am Ende der Szene hassen sich die beiden, vielleicht aber haben sie sich schon vorher gehaßt. Prinzipien können aufeinander treffen, bis es Krieg gibt. Diese Gewalttätigkeit ist nicht unbedingt körperlicher Natur, aber sie existiert. W: Aber der Alltag ist das eine und der Proberaum etwas völlig anderes. Rolf Michenfelder: Da beginnt die Kunst des Schauspielers. Wenn ich damit arbeite, daß ich es nicht aushalte, wenn mir jemand näher als einen Meter kommt, und ich dies merke, dann entwickle ich in der Improvisation Strategien dagegen. Die Regisseurin beobachtet dies, reagiert darauf mit einer neuen Frage oder verwirft die alte völlig. W: Das Stück hat viele Stellen, die zum Lachen sind, aber sie sind eingebettet in ein grundernstes Thema Rolf Michenfelder: Das stimmt, das ist das Geheimnis des Stückes, das auch seine Struktur der Simultaneität mit bildet. In vielen Szenen bleiben Menschen auf der Strecke, während von den anderen Schauspielern die nächste Szene schon gestartet wird. Es ist wie in der Realität. Das Leben ist nicht so ordentlich, daß das eine zu Ende ist, wenn das andere anfängt. Obwohl man sich das manchmal wünscht ... W: Welche Improvisationsmöglichkeiten haben dabei die Schauspieler? Rolf Michenfelder: Mehr als sonst. Wir arbeiten mit dem Risiko, keine fixierten Texte zu haben, so daß jeder Abend etwas anders verläuft. Die Montage, die Art der Zusammenstellung der Szenen ist allerdings immer gleich. Außerdem gibt es speziell für das Stück erarbeitete Musik, die zwar von unterstützend bis kontrapunktisch in unterschiedlichsten Beziehungen zu den Szenen steht, die aber dennoch die rhythmische und zeitliche Struktur vorgibt.