18

April
Inszenierung und Spiel

Fremd ist der Fremde nur in der Fremde

Auf und neben den Spuren von Karl Valentin
Karl Valentin wird 1882 in München geboren ( in der Au, dem damaligen „Sozialen Brennpunkt"), verbringt nahezu sein ganzes Leben in München und stirbt auch dort, am Rosenmontag 1948, halb verhungert und erfroren, erledigt von einer Münchner Kulturmafia, die seine regionale Gebundenheit heute ausschlachtet, um ihn als kauzigen Sonderling und gefälligen Lokalkomiker zu feiern und ihn damit zum zweiten Mal zu erledigen. Salonfähig, wie Valentin inzwischen wieder ist, werden seine Geburtstage gefeiert (natürlich der 99ste), und Deutschlands Stadttheater spielen seine Szenen nach und scheinen sich (bis auf ganz wenige Ausnahmen) darin überbieten zu wollen, ihn auf schnelle, vordergründige Witzchen zu reduzieren. Doch es gibt noch eine andere Valentin-Renaissance, die gegen diese Fügsammachung und Entschärfung seiner Komik angeht, und so kann man sich die Qualität von Karl Valentin wenigstens aus Frankreich erklären lassen: „Zu häufig war Valentin in die zweifelhafte Kategorie der bayerischen Vorkriegskomiker gesteckt worden. Und wer in Frankreich Bayern sagt, meint Bier, Vulgarität und die anstößige Folklore eines Staates, der an der Schwelle des Nazismus steht. Karl Valentin steht hoch über dieser Ebene. Wenn Bayern die Bierhallen als Stätten des Suffs und die Lederhose hervorgebracht hat, so hat es doch auch enfants terribles erzeugt, die, ob Mann oder Frau, ohne ihre Herkunft zu verleugnen, auf diese Realität einen vernichtenden Blick werfen: Man kann heute nicht von Valentin sprechen, ohne an Oskar Maria Graf, Fleisser, Lena Christ und mehr in der Gegenwart Herbert Achternbusch zu denken. Genau wie diese ist Valentin bayrisch - seine Virulenz, seine Aggressivität, seine Grausamkeit haben keine andere Zielscheibe als genau das Milieu, aus dem er hervorgegangen ist. Bei allen diesen großen Bayern gibt es auf Anhieb eine Weigerung, an den Rand gedrängt zu werden, zu den anderen, toleranteren Deutschen abgeschoben zu werden (oder zu den Ausländern)." (Gilles Gaultier, in: Cinema 1981)
Karl Valentin ist ein Komiker, der in seinen Szenen die Fähigkeit, sich mit den Dingen zu versöhnen, nicht besitzt, nicht besitzen will. Er boykottiert die wichtigste Übereinkunft menschlichen Zusammenlebens, nämlich, daß es Dinge gibt, die selbstverständlich und klar sind. Mit einem enzyklopädischen Weltzweifel ausgestattet, bewegt er sich an den Grenzen der Ordnung, die scheinbar festgefügt, nur eines minimalen Einhakens bedürfen, um ihren Geist aufzugeben. „Schlottrig, mager, eckig, insektengleich ist Valentin einer Heuschrecke ähnlich, die sich auf der Realität nieder läßt, und die man nicht mehr abschütteln kann." Und er parodiert nicht. Seine große Kunst ist die gespielte Distanzlosigkeit, das Eins-Werden mit dem Gegenstand: Er praktiziert die Widersprüche einer falschen Welt am eigenen Körper.
Fremd ist der Fremde nur in der Fremde ist ein Theaterstück mit Texten von und über Karl Valentin. Es zieht Verbindungslinien zwischen seinem Werk, seinem Leben und historischen Ereignissen. Karl Valentin - vom Schreinergesellen zum Künstler, seine Szenen, die Nazizeit, seine Verweigerungen, die Nachkriegszeit.
,,Wenn die Leute wüßten, wie ernst es mir ist, wenn sie lachen, es wäre zum Weinen für mich, wenn sie nicht lachen täten über mich." (Karl Valentin)
„Wenn Karl Valentin in irgendeinem lärmenden Bierrestaurant todernst zwischen die zweifelhaften Geräusche der Bierdeckel, Sängerinnen, Stuhlbeine trat, hatte man sofort das scharfe Gefühl, daß dieser Mensch keine Witze machen würde. Er ist selbst ein Witz. Dieser Mensch ist ein durchaus komplizierter, blutiger Witz. Er ist von einer ganz trockenen innerlichen Komik, bei der man rauchen und trinken kann und unaufhörlich von einem innerlichen Gelächter geschüttelt wird, das nichts besonders Gutartiges hat." Bertolt Brecht